Buchtipps

 
Buchtipps

Ayelet Gundar-Goshen: Wo der Wolf lauert
Kein & Aber Verlag, 2021

350 Seiten und am Ende findet die Geschichte keine Auflösung. Das beeinträchtigt das Leseerlebnis jedoch in keinster Weise, denn Aylet Gundar-Goshen zeichnet eine Geschichte mit vielschichtigen Figuren. Es geht um familiäre Strukturen und Beziehungen, um Vertrauen, Liebe und Glück, um Mobbing, Antisemitismus, Rassismus und um Opfer und Täter. Ein Familiendrama, ein Wirtschaftsspionage-Krimi, ein Gesellschaftsroman – feinfühlig und dennoch distanziert erzählt, spannend bis zum letzten Satz!

Lilach Schuster hat alles: ein Haus mit Pool im Herzen des Silicon Valley, einen erfolgreichen Ehemann und das Gefühl, angekommen zu sein in einem Land, in dem man sich nicht in ständiger Gefahr wähnen muss wie in ihrer Heimat Israel. Doch dann stirbt auf einer Party ein Mitschüler ihres Sohnes Adam. Je mehr Lilach über die Umstände des Todes erfährt, desto größer wird ihr Unbehagen: Ist es möglich, dass Adam irgendwie damit in Verbindung steht?
Ein psychologisch raffinierter Roman über die langen Schatten unserer Herkunft und darüber, dass uns oft die Menschen das größte Rätsel bleiben, die wir am besten zu kennen glauben: unsere Kinder.

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Bernhard Schlink: Das späte Leben
Diogenes Verlag, 2023

Noch zwölf gute Wochen bis zum Tod: Martin Brehm nutzt die Zeit, die Zeit mit seiner Frau und seinem 6-jährigen Sohn, ordnet und sortiert, schreibt Briefe und deckt manches auf, was bis dahin unentdeckt geblieben war. Er ist versöhnlich und ausgleichend, denkt nach über das Leben, die Liebe und den Tod. Und darüber, was er hinterlassen möchte und woran sich sein Sohn erinnern soll. Ein sprachlich anspruchsvolles Buch, die Worte bewusst gewählt, die Geschichte traurig, aber nicht rührend, schnörkellos und anspruchsvoll. Ein echter Schlink!

Martin, sechsundsiebzig, wird von einer ärztlichen Diagnose erschreckt: Ihm bleiben nur noch wenige Monate. Sein Leben und seine Liebe gehören seiner jungen Frau und seinem sechsjährigen Sohn. Was kann er noch für sie tun? Was kann er ihnen geben, was ihnen hinterlassen? Martin möchte alles richtig machen. Doch auch für das späte Leben gilt: Es steckt voller Überraschungen und Herausforderungen, denen er sich stellen muss.


Julia Jost: Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht
Suhrkamp Verlag, 2024

Julia Josts Roman spielt in der Kärntner Bergwelt und erinnert an frühere Biografien. Ein Mädchen, das lieber ein Bub wäre und sich der vorgegebenen Ordnung etwas widersetzt. Eine Liebe, Freundschaften, ein politisch tiefbrauner Sumpf und tiefe Abgründe in der Nachbarschaft.
Es geht rabiat zu am Land, das raue Miteinander im dörflichem Umfeld schildert Julia Jost ungeschminkt, sprachlich brillant, zeitweise im Kärntner Dialekt, aber auch voller Ironie und Humor.

Es ist das Jahr 1994. In einem Kärntner Dorf am Fuß der Karawanken sitzt die Erzählerin unter einem Lkw und beobachtet die Welt und die Menschen knieabwärts. Sie ist elf Jahre alt und spielt Verstecken mit ihrer Freundin Luca aus Bosnien. Zum letzten Mal, denn die Familie zieht um. Der Hof ist zu klein geworden für den Ehrgeiz der Mutter, die ausschließlich eines im Kopf hat - bürgerlich werden! Nach und nach treffen immer mehr Nachbarsleute ein, um beim Umzug zu helfen, und das Kind in seinem Versteck beginnt zu erzählen: von seiner Angst, im Katzlteich ertränkt zu werden, weil es kurze Haare hat. Weil es Bubenjeans trägt. Weil es heimlich in Luca verliebt ist. Dabei ist sie nicht die Einzige, die etwas verbergen muss. Sie kennt Geschichten über die Ankommenden, die in tiefe Abgründe blicken lassen und doch auch Mitgefühl wecken.


Isabel Bogdan: Der Pfau
Insel Verlag, 2017

Man wünscht sich Teil dieser Geschichte zu sein, man möchte auch Gast sein in diesem speziellen Landsitz in Schottland, man möchte die Bänker, die dort ein Teambuilding Event absolvieren, kennenlernen. Und man möchte Mäuschen spielen. Isabel Bogdan erzählt mit Witz, feiner Ironie, leichter Geschwätzigkeit und trockenen Pointen. Die Geschichte wäre eigentlich in ein paar Sätzen erzählt und trotzdem ist kein Wort zu viel!

Ein charmant heruntergekommener Landsitz in den schottischen Highlands, ein völlig durchgedrehter Pfau, der bei blau nur noch rot sieht, und ein bunt zusammengewürfelter Haufen Leute, dazu ein überraschender Wintereinbruch, ein Kurzschluss und die ein oder andere Verwechslung - und schon ist das Chaos perfekt!

Pointenreich, very british und urkomisch erzählt Isabel Bogdan von einem Wochenende, an dem alles anders kommt als geplant: Eine Gruppe Investmentbanker reist samt ambitionierter Psychologin und erfindungsreicher Köchin aus London an, um in der ländlichen Abgeschiedenheit bei einer Teambildungsmaßnahme die Zusammenarbeit zu verbessern. Doch das spartanische Ambiente und ein verrückt gewordener Pfau bringen sie dabei gehörig aus dem Konzept. Und nicht nur sie: Denn die pragmatische Problemlösung des Hausherrn Lord McIntosh setzt ein Geschehen in Gang, das sämtliche Beteiligte an die Grenzen ihrer nervlichen Belastbarkeit bringt.


Alex Beer: Der letzte Tod. Ein Fall für August Emmerich
blanvalet Verlag, 2023

Der bislang spannendste Fall rund um Kriminalinspektor August Emmerich und das Ende der Geschichte macht Hoffnung, dass Alex Beer weiterschreibt! Zu viel ist noch offen, vor allem rund um die Privatperson August Emmerich und seine Vergangenheit. Außerdem wird ihm in „Der letzte Tod“ von Dr. Adler ein gutes Dienst-Zeugnis ausgestellt – obwohl er den ihm zur Seite gestellten Psychiater anfangs mit sehr viel Missmut und seiner bekannt schroffen Art ordentlich degradiert.
Eine verwobene Geschichte mit grausigen Leichenfunden und Ermittlungen in ganz Europa, die Hochspannung bis zum letzten Satz garantiert!

Wien im September 1922: Die Inflation nimmt immer weiter Fahrt auf, die Lebenshaltungskosten steigen ins Unermessliche, und der Staatsbankrott steht kurz bevor. Unterdessen haben Kriminalinspektor August Emmerich und sein Assistent Ferdinand Winter es mit einem grausigen Fund zu tun: Auf dem Gelände des Wiener Hafens wurde in einem Tresor eine mumifizierte Leiche entdeckt. Und dabei bleibt es nicht, denn der Mörder tötet nach einem abscheulichen Muster, und er hat sein nächstes Opfer schon im Visier. Doch damit nicht genug: Ein alter Feind aus Emmerichs Vergangenheit taucht wieder auf - und er trachtet dem Ermittler nach dem Leben ...


Alex Beer: Das schwarze Band. Ein Fall für August Emmerich
blanvalet Verlag, 2021

Bei Alex Beer ist einfach immer Hochspannung garantiert. Auch wenn das Buch schon ein paar Jahre auf dem Markt ist 😉 Der eigenwillige Kriminalinspektor August Emmerich ermittelte schließlich auch in der Zwischenkriegszeit. Die Geschichte ist fesselnd – neben ermordeten Tänzerinnen steht auch die Republik am Rande des Abgrunds. Fesselnd erzählt – große Empfehlung ist auch das Hörbuch, das von Cornelius Obonya gelesen wird – schlüssige Geschichte, sympathische Protagonisten, historisch fundiert aufbereitet!

Wien im Juli 1921: Die Stadt ächzt unter einer Hitzewelle, Wasser wird rationiert, und der Asphalt schmilzt. Kriminalinspektor August Emmerich macht noch ein ganz anderes Problem zu schaffen: Weil er sich wieder einmal danebenbenommen hat, wird er von den Ermittlungen an zwei ermordeten Tänzerinnen abgezogen und in einer Kadettenschule interniert. Dort soll er, gemeinsam mit anderen schwarzen Schafen aus dem Polizeidienst, bessere Umgangsformen lernen. Doch als in der Schule ebenfalls ein Mord passiert, muss Emmerich für seine Nachforschungen erneut alle Regeln brechen. Denn er sieht sich mit einer blutigen Intrige konfrontiert, die ihn bis in die höchsten politischen Kreise führt ...


Dirk Stermann: Mir geht's gut, wenn nicht heute, dann morgen. 
Erika Freeman: Der Roman eines Jahrhundertlebens
Rowohlt Verlag, 2023

Am Tisch im Imperial in Wien scheint noch eine dritte Person zu sitzen, denn Dirk Stermann suggeriert mit seinen authentischen, unprätentiösen Gesprächsaufzeichnungen mit der 95-jährigen Erika Freeman uns als Leser:innen quasi mittendrin zu sein. Die Kipferl kann man förmlich riechen und die Verbundenheit der Beiden ehrlich spüren. Ein langer Dialog, der von seiner Herzlichkeit, dem ungestörten Fluss und der Weisheit lebt. Dirk Stermann gelingt es all die Tragik in Erika Freemans Leben mit Humor zu verknüpfen, ohne den Ernst, die Tiefgründigkeit und vor allem die Empathie zu verlieren.

Fast ihr ganzes Leben hat Erika Freeman in New York verbracht, dann sitzt sie eines Abends in der Talkshow von Dirk Stermann, «Willkommen, Österreich», und verzaubert ihren Gastgeber und die Nation. Im hohen Alter lebt sie wieder in ihrer Heimatstadt Wien, jeden Mittwoch kommt Dirk sie nun besuchen, um sich mit ihr bei Kipferln und Melange über Gott und die Welt zu plaudern, und aus diesem erzählten Jahrhundertleben einen so amüsanten wie bewegenden Roman zu machen.

Geboren 1927, ist Erika mit 12 Jahren vor den Nazis nach New York geflohen. Sie wächst in einem Waisenhaus auf, hat Anteil an der Gründung Israels und wird nach dem Studium Psychoanalytikerin; ganz auf sich gestellt, ihre Mutter hat den Krieg nicht überlebt. Ihr Vater, vermeintlich im KZ gestorben, glaubt seinerseits, als Einziger der Familie überlebt zu haben, bis er mitten auf dem Broadway seinen Bruder trifft. Als Therapeutin ist Erika bald eine Berühmtheit, die Riege ihrer berühmten Patienten reicht von Washington bis Hollywood. Nun, mit 95, ist sie wieder Österreicherin geworden, residiert im berühmten Hotel Imperial, wo einst Hitler nächtigte, und wenn man sie fragt, wie es ihr geht, sagt sie: «Gut. Wenn nicht heute, dann morgen.»


Matt Haig: Der fürsorgliche Mr. Cave
Droemer Verlag, 2022


Man wird regelrecht hineingezogen in den Sog der Erzählung. Aus der Perspektive des Vaters erzählt Matt Haig die Tragödien, die sich im Leben von Terence Cave abspielen. Immer tiefer in den Wahn gerät der Protagonist, immer besessener wird er von der Angst um seine Tochter. Immer verworrener wird die Geschichte, die Schicksale der Personen hängen immer enger zusammen und am Ende gipfelt Mr. Caves Fürsorge in einer Katastrophe. Er ist zu weit gegangen.
Ein erschütternder, psychologischer Roman, der einem vor Beklemmung fast die Luft zum Atmen nimmt.

Drei Mal schon musste Antiquitätenhändler Terence Cave den Verlust eines geliebten Menschen verkraften: erst den Selbstmord seiner Mutter, dann den Mord an seiner Frau, und schließlich den tragischen Tod seines Sohnes Reuben. Geblieben ist ihm nur noch seine Tochter Bryony, Reubens Zwillingsschwester - und das Gefühl, dass ihm alle genommen werden, die er liebt.
Umso verzweifelter versucht Terence nun, seine wunderschöne Tochter vor jeder Gefahr zu schützen, koste es, was es wolle! Doch die 15-jährige Bryony riskiert immer mehr, um aus dem goldenen Käfig ihres Vaters auszubrechen, und Terence muss sich fragen, ob er sie wirklich nur beschützen will?


David Foenkinos: Das geheime Leben des Monsieur Pick
DVA Verlag, 2018

Ein Bücherherz schlägt höher: Eine Bibliothek der unveröffentlichten / abgelehnten Manuskripte als Ausgangspunkt für ein Verwirrspiel rund um erfolgreiche und gescheiterte Schriftsteller:innen, Verlage, Rezensionen und den Hype, den Bücher auslösen können. Wenn sie zur richtigen Zeit im richtigen Verlag erscheinen, entsprechend gepusht werden und wenn an sie geglaubt wird. Die Liebesgeschichte des unbekannten Autors scheint auf die Protagonisten abzufärben. Paare trennen sich, Liebende finden unerwartet zusammen, Beziehungsmotive wandeln sich und auf der Jagd nach der wahren Entstehungsgeschichte des Romans besinnen sich viele Akteure auf einen eigenen Neuanfang.
Ein französisch-charmanter Roman über die Liebe, verlorene Träume und den Mut, sein Leben in die Hand zu nehmen. Leicht, beschwingt und voller Witz. Und wer nicht selbst lesen will, dem sei das Hörbuch oder die gelungene Verfilmung ans Herz gelegt.

Im bretonischen Finistère, am wind- und wellenumtosten „Ende der Welt“, gibt es eine ganz besondere Bibliothek. Sie sammelt Bücher, die nie erscheinen durften. Eines Tages entdeckt dort eine junge Pariser Lektorin ein Meisterwerk, und der Roman wird zum Bestseller. Der Autor, Henri Pick, war der Pizzabäcker des Ortes. Seine Witwe beteuert, er habe Zeit seines Lebens kein einziges Buch gelesen und nie etwas anderes zu Papier gebracht als die Einkaufslisten - ob er ein geheimes Zweitleben führte?


Caroline Wahl: 22 Bahnen
Dumont Verlag, 2023

Durchschwimmen und hoffen, dass die 22 Bahnen noch lange nicht zu Ende sind! Fast monoton wiederholt sich der Tagesablauf, auch die Sprache der Autorin ist entsprechend. Die Dialoge sind knapp und klar, ihr Ausdruck ironisch, witzig und mit scharfer Zunge formuliert.
Obwohl das hier „keine Liebesgeschichte“ ist – so zumindest belehrt Tilda ihre Schwester Ida – ist es eine Geschichte voller Liebe, Herzenswärme, Empathie, Neugierde, Kraft, Emotionen, Durchhaltevermögen und voller guter Gespräche. Charaktere, die weich gezeichnet sind, authentisch agieren und die nicht nur von der Autorin selbst geliebt werden – auch als Leserin steckt man sofort mitten in der Geschichte und schwimmt mit, bis die Dialoge verstummen.

Tildas Tage sind strikt durchgetaktet: studieren, an der Supermarktkasse sitzen, sich um ihre kleine Schwester Ida kümmern - und an schlechten Tagen auch um die Mutter. Zu dritt wohnen sie im traurigsten Haus der Fröhlichstraße in einer Kleinstadt, die Tilda hasst. Ihre Freunde sind längst weg, leben in Amsterdam oder Berlin, nur Tilda ist geblieben. Denn irgendjemand muss für Ida da sein, Geld verdienen, die Verantwortung tragen. Nennenswerte Väter gibt es keine, die Mutter ist alkoholabhängig. Eines Tages aber geraten die Dinge in Bewegung: Tilda bekommt eine Promotion in Berlin in Aussicht gestellt, und es blitzt eine Zukunft auf, die Freiheit verspricht. Und Viktor taucht auf, der große Bruder von Ivan, mit dem Tilda früher befreundet war. Viktor, der - genau wie sie - immer 22 Bahnen schwimmt. Doch als Tilda schon beinahe glaubt, es könnte alles gut werden, gerät die Situation zu Hause vollends außer Kontrolle.


Elena Fischer: Paradise Garden
Diogenes Verlag, 2023

Elena Fischer erzählt die Geschichte einer starken Mutter-Tochter-Beziehung, die von Wertschätzung, ehrlichem Interesse aneinander und gegenseitigem Vertrauen geprägt ist. Jäh unterbrochen durch einen schrecklichen Unfall, der aber gleichzeitig auch Chance für einen Roadtrip, die Suche nach einem Vater, dessen Herkunft und die Umstände die Mutter unerklärt gelassen hat, und eine Reise ans Meer ist. Die Figuren sind sofort sympathisch und gehen in den Dialog mit den Leser:innen. Figuren, von denen man viel lernen kann.

Die 14-jährige Billie verbringt die meiste Zeit in ihrer Hochhaussiedlung. Am Monatsende reicht das Geld nur für Nudeln mit Ketchup, doch ihre Mutter Marika bringt mit Fantasie und einem großen Herzen Billies Welt zum Leuchten. Dann reist unerwünscht die Großmutter aus Ungarn an, und Billie verliert viel mehr als nur den bunten Alltag mit ihrer Mutter. Als sie Marika keine Fragen mehr stellen kann, fährt Billie im alten Nissan allein los - sie muss den ihr unbekannten Vater finden und herausbekommen, warum sie so oft vom Meer träumt, obwohl sie noch nie da war.


Benedict Wells: Hard Land
Diogenes Verlag, 2021

Man möchte noch einmal 15 sein, wie aufregend und intensiv das Leben in der Jugend doch ist! Jeder Tag bringt Überraschungen, Neues und unzählige „erste Male“. Zumindest vermeintlich, denn das Teenager-Dasein birgt auch viele Enttäuschungen, Langeweile, Schmerz und Kummer und vor allem bringt es den Drang mit sich, dazugehören zu wollen.
All das erlebt Sam in diesem einen Sommer: eine Geschichte über Familie, Verlust, Beziehungen, Freundschaft und Liebe. Und er erlebt es empathisch, körperlich, mit Haut und Haaren. Benedict Wells verleiht seinen Figuren Empathie, Melancholie, Tiefgang und ganz viel Herz!

Missouri, 1985: Um vor den Problemen zu Hause zu fliehen, nimmt der fünfzehnjährige Sam einen Ferienjob in einem alten Kino an. Und einen magischen Sommer lang ist alles auf den Kopf gestellt. Er findet Freunde, verliebt sich und entdeckt die Geheimnisse seiner Heimatstadt. Zum ersten Mal ist er kein unscheinbarer Außenseiter mehr. Bis etwas passiert, das ihn zwingt, erwachsen zu werden.


Maja Lunde: Die Geschichte des Wassers
btb Verlag, 2019

Aktueller denn je: Flüchtlingscamps, Wasserknappheit, Klimawandel. Maja Lunde erzählt fesselnd auf zwei Ebenen und verbindet so Gesellschaftsthemen mit Klimapolitik ohne dabei auf das Zwischenmenschliche zu vergessen: Liebe, Verrat, Familie, Beziehungen, Sorgen und vor allem Nöte. Und sie unterstreicht, dass jede und jeder seine Geschichte aus seinem Blickwinkel erzählt, die Geschichte zwar mit anderen Personen verwoben ist, aber frei nach einem indianischen Sprichwort: „Urteile nie über einen anderen, bevor du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gelaufen bist.“

Norwegen, 2017. Die fast 70-jährige Umweltaktivistin Signe begibt sich auf eine riskante Reise: Mit einem Segelboot versucht sie die französische Küste zu erreichen. Dort will sie den Mann zur Rede stellen, der einmal die Liebe ihres Lebens gewesen ist.
Frankreich, 2041. Eine große Dürre zwingt die Menschen Südeuropas zur Flucht in den Norden, es ist längst nicht genug Trinkwasser für alle da. Doch bei dem jungen Vater David und seiner Tochter Lou keimt Hoffnung auf, als sie in einem vertrockneten Garten ein altes Segelboot entdecken. Signes Segelboot.
Virtuos verknüpft Maja Lunde das Leben und Lieben der Menschen mit dem, woraus alles Leben gemacht ist: dem Wasser. Ihr neuer Roman ist eine Feier des Wassers in seiner elementaren Kraft und ergreifende Warnung vor seiner Endlichkeit.


Maja Lunde: Die Geschichte der Bienen
btb Verlag, 2018

Die Bienen als Synonym für das Leben und vor allem dafür, wie sehr die Natur im Einklang sein müsste, damit ein gutes Leben für alle Lebewesen auf jedem Fleck dieser Welt möglich wäre. Im Konjunktiv, wie auch in Maja Lundes gefeiertem Erstlingsroman. Denn sie verwebt gekonnt drei Ebenen und erzählt fesselnd über den Beginn des Bienensterbens und wie unsere Welt aussehen könnte, wenn wir diese Klima- und Naturkatastrophen nicht abwenden. Immer verpackt in eine Familiengeschichte, die facettenreich der Geschichte jenen Schliff gibt, der es unmöglich macht, das Buch auf die Seite zu legen.

England im Jahr 1852: Der Biologe und Samenhändler William kann seit Wochen das Bett nicht verlassen. Als Forscher sieht er sich gescheitert, sein Mentor Rahm hat sich abgewendet, und das Geschäft liegt brach. Doch dann kommt er auf eine Idee, die alles verändern könnte – die Idee für einen völlig neuartigen Bienenstock.
Ohio, USA im Jahr 2007: Der Imker George arbeitet hart für seinen Traum. Der Hof soll größer werden, sein Sohn Tom eines Tages übernehmen. Tom aber träumt vom Journalismus. Bis eines Tages das Unglaubliche geschieht: Die Bienen verschwinden.
China, im Jahr 2098: Die Arbeiterin Tao bestäubt von Hand Bäume, denn Bienen gibt es längst nicht mehr. Mehr als alles andere wünscht sie sich ein besseres Leben für ihren Sohn Wei-Wen. Als der jedoch einen mysteriösen Unfall hat, steht plötzlich alles auf dem Spiel: das Leben ihres Kindes und die Zukunft der Menschheit.


Monika Helfer: Die Jungfrau
Hanser Verlag, 2023

Unaufgeregt, sprachgewandt, unprätentiös, wertschätzend – auch in diesem Roman schafft es Monika Helfer über intimste und privateste Themen, Beziehungen und Geschehnisse so zu erzählen, dass niemand verletzt oder bloß gestellt wird, ganz im Gegenteil: Man wünscht sich, die handelnden Personen persönlich kennenzulernen.
Eine Geschichte über Freundschaft, Gegensätze, die Liebe und den Sinn den Lebens.

Gloria und Moni sind beste Jugendfreundinnen – die eine reich, die andere arm. Ein halbes Jahrhundert später begegnen sich die beiden Frauen wieder und Gloria beichtet ihr Lebensgeheimnis: Nie hat sie mit jemandem geschlafen. Früher kam Gloria immer gut an, war exzentrisch und schön, wollte Schauspielerin werden, war viel unter Menschen. Gloria und Moni wachsen auf im Mief der sechziger Jahre, sind konfrontiert mit Ehe, Enge und Gewalt. Wie wurden die beiden zu denen, die sie sind? Monika Helfer macht aus Lebenserinnerung große Literatur. Nach der Trilogie über ihre Familie und Herkunft ist „Die Jungfrau“ ein atemloser Roman über die jahrzehntelange Freundschaft zwischen zwei Frauen.


Martina Parker: Ausgstochen
Gmeiner Verlag, 2023

Lebkuchen, Weihnachtsdeko, Last Christmas – im Oktober – mit mir sicher nicht. Aber bei Martina Parkers neuem Roman musste ich einfach eine Ausnahme machen, denn ich kann mit der Lektüre des Weihnachtskrimis unmöglich warten, bis „endlich“ Advent ist. Die Leiche liegt zwar unterm Christbaum und das grande finale findet zu Weihnachten statt, aber dazwischen ist die Geschichte einfach nur witzig, genial ironisch, spannend, unterhaltsam und Martina Parkers südburgenländisch-britischer Humor aktiviert einfach sämtlich Lachmuskeln.
Und mein persönliches Highlight: Unsere Veranstaltung mit Martina Parker in Vorarlberg kommt in der Danksagung vor!

„Geh hör ma auf. Das gibt's ja nicht. Und des steht alles in dem Biachl von der Frau Bürgermeister?“ Die Frau Fuith war wirklich schockiert. „Nun“, sagte Hilda und leckte sich die Finger ab. „Dieses Buch ist sehr, sehr ordinär.“
„Wirklich? Ordinär sagst du?“, murmelte die Frau Fuith in gespielter Empörung. „Und“, Hilda machte eine bedeutungsvolle Pause, bevor sie etwas Puddingcreme auf ihre Gabel balancierte und zum Mund führte: „Ich glaube, es ist alles wahr, was da drin steht ...“
Der Bürgermeister liegt beim Pannonischen Adventmarkt tot unterm Christbaum. Seine Witwe schreibt Erotikliteratur. Ein Zuagroaster macht aus der Madonnenstatue Kleinholz. Und ein Unbekannter stellt seltsame Fragen. Es geht rund im vorweihnachtlichen Südburgenland. Bei den Ermittlungen ist der Gartenklub an vorderster Front dabei. Denn neben Misteln schneiden, Hyazinthen treiben, Grammeln (Grieben) auslassen und Kekse backen, liebt der Klub der Grünen Daumen die Verbrecherjagd. Und dabei sind Tannenläuse im Christbaum wahrlich das kleinste Problem.


Wolf Haas: Eigentum
Hanser Verlag, 2023

Es ist schon wieder was passiert!
„Alles hin.“ Die Mutter, das Geld, das Leben. - Der neue Roman von Wolf Haas ist wohl sein bisher privatestes Buch. Eine Hommage an seine Mama, würdevoll, wertschätzend, herzlich und trotz der Schwere witzig. Eine Geschichte über das Leben und das Sterben, über Familie und die Gesellschaft, und über das Geld. Denn das immer weiter in die Ferne rückende Eigentum schwebt als unerreichbarer Wunsch über dem Familienleben.
Inhaltlich ein neuer Wolf Haas, sprachlich unverkennbar!

„Ich war angefressen. Mein ganzes Leben lang hat mir meine Mutter weisgemacht, dass es ihr schlecht ging. Drei Tage vor dem Tod kam sie mit der Neuigkeit daher, dass es ihr gut ging. Es musste ein Irrtum vorliegen.“ Mit liebevoll grimmigem Witz erzählt Wolf Haas die heillose Geschichte seiner Mutter, die, fast fünfundneunzigjährig, im Sterben liegt. 1923 geboren, hat sie erlebt, was Eigentum bedeutet, wenn man es nicht hat. „Dann ist die Inflation gekommen und das Geld war hin.“ Für sie bedeutete das schon als Kind: Armut, Arbeit und Sparen, Sparen, Sparen. Doch nicht einmal für einen Quadratmeter war es je genug.


Jan Weiler: Älternzeit
Heyne Verlag, 2023

Es ist alles nur eine Phase! Als Eltern ist man ja meist froh nicht genau zu wissen, was noch so alles auf einen zukommt – Jan Weiler schürt mit seinen Kolumnen jedoch die Vorfreude. Ehrlich, ironisch, witzig und sehr empathisch schildert er die Abnabelung von seinen Kindern – nicht während der Pubertät, da beruht dieser Wunsch nach Abnabelung ja quasi auf Gegenseitigkeit – sondern wenn aus der „Elternzeit“ die „Älternzeit“ wird und die Kinder ausziehen wollen / sollen. In Weiler´scher Sprache, von Till Hafenbrak illustriert – ein fabelhafter Buchtipp für eine kurze Auszeit!

Aus der Älternzeit gibt es keine Rückkehr!
Wenn Fahrdienste und regelmäßige Fütterungen nicht mehr erforderlich sind, bricht für die Ältern ein neues Zeitalter an. Nun fordern die Spätpubertiere aus dem Urlaub in Kroatien größere Geldbeträge an. Sie konfrontieren die Ältern mit deren unfreshen Weltsichten und verbieten ihnen den Gebrauch von Alufolie, längere Autofahrten sowie das Tragen von schicken Hemden. Sie rufen niemals auf dem Festnetz an und schalten die blauen Häkchen bei WhatsApp aus. So beginnt sie - die Älternzeit. Man muss es mit Humor nehmen!


Martin Suter: Melody
Diogenes Verlag, 2023

Irgendwie rechnet man bereits nach ein paar Seiten an mit dem Ende und dennoch sind Martin Suters Geschichten fesselnd. Seine Protagonisten möchte man unbedingt kennenlernen und begleiten, seine Sprache schwelgt zwischen unprätentiös und fordernd, jedenfalls sind Unterhaltung und Spannung garantiert.
Wer denn tatsächlich Protagonist dieser Geschichte ist, bleibt Definitionssache: Ist es die titelspendende Melody, um deren Schicksal sich der ganze Plot dreht? Oder doch Peter Stotz, dessen Biografie Inhalt des Buches ist? Eigentlich wird doch alles aus Toms´ Perspektive erzählt, aber auch Mariella, Robert, Laura und Iosif beeinflussen die Geschichte? Die Figurenkonstellation ist klassisch, der Handlungsstrang einfach, aber dennoch legt der Titel eine falsche Fährte – eine „Suter´sche Ambiguität" – jedes Kapitel schält sich wie eine Matroschka und am Ende bleibt der Kern. Manches ist auserzählt, manches bleibt offen.

In einer Villa am Zürichberg wohnt Alt-Nationalrat Dr. Stotz, umgeben von Porträts einer jungen Frau. Melody war einst seine Verlobte, doch kurz vor der Hochzeit - vor über 40 Jahren - ist sie verschwunden. Bis heute kommt Stotz nicht darüber hinweg. Davon erzählt er dem jungen Tom Elmer, der seinen Nachlass ordnen soll. Nach und nach stellt sich Tom die Frage, ob sein Chef wirklich ist, wer er vorgibt zu sein. Zusammen mit Stotz' Großnichte Laura beginnt er, Nachforschungen zu betreiben, die an ferne Orte führen - und in eine Vergangenheit, wo Wahrheit und Fiktion gefährlich nahe beieinanderliegen.

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Daniel Glattauer: Die spürst du nicht
Zsolnay Verlag, 2023

Keine vier Seiten gelesen und schon ist man eingetaucht in die vorhersehbare Katastrophe. Und schnappt immer wieder nach Luft bei so vielen Schicksalen. Einerseits werden Klischees bedient, denn die Tochter der wohlhabenden Familie heißt bspw. Sophie Luise, andererseits kommen Menschen zu Wort, die sonst sprachlos sind und nicht gehört werden.
Die Zeitspanne bis es zur Katastrophe kommt, ist kurz, was danach kommt, entscheidend intensiver. Auch wenn sich manches erahnen lässt, endet der Roman in einem konstruierten Showdown, was der sprachlichen Glanzleistung, dem spannenden Plot, der mitreißenden Handlungspyramide und den feinfühlig gezeichneten Protagonisten keinen Abbruch tut.

Die Binders und die Strobl-Marineks gönnen sich einen exklusiven Urlaub in der Toskana. Tochter Sophie Luise, 14, durfte gegen die Langeweile ihre Schulfreundin Aayana mitnehmen, ein Flüchtlingskind aus Somalia. Kaum hat man sich mit Prosecco und Antipasti in Ferienlaune gechillt, kommt es zur Katastrophe.
Was ist ein Menschenleben wert? Und jedes gleich viel? Daniel Glattauer packt große Fragen in seinen neuen Roman, den man nicht mehr aus der Hand legen kann und in dem er all sein Können ausspielt: spannende Szenen, starke Dialoge, Sprachwitz. Dabei zeichnet Glattauer ein Sittenbild unserer privilegierten Gesellschaft, entlarvt deren Doppelmoral und leiht jenen seine Stimme, die viel zu selten zu Wort kommen.


Arno Geiger: Das glückliche Geheimnis
Hanser Verlag, 2023

Jeder Satz ein Geheimnis. Jedes Wort geglückt. Arno Geiger zu lesen, fasziniert. Aber eher seine Sprache, seine Art zu erzählen und nicht der Inhalt – zumindest bei diesem Buch. Seine Streifzüge durch Wien und vor allem das Gefundene mögen ihn inspiriert haben, eine Geschichte dahinter dürfen die Leser:innen jedoch nicht erwarten. Es handelt sich eher um eine Selbstinszenierung, eigentlich ein Seelen-Striptease, der allerdings nicht nur Arno Geiger selbst unverhüllt zeigt, sondern zu weiten Teilen auch seine engste Familie – Eltern und Geschwister – und vor allem seine Liebschaften. Leider ein bisschen zu viel des Guten.

Frühmorgens bricht ein junger Mann mit dem Fahrrad in die Straßen der Stadt auf. Was er dort tut, bleibt sein Geheimnis. Zerschunden und müde kehrt er zurück. Und oft ist er glücklich. Jahrzehntelang hat Arno Geiger ein Doppelleben geführt. Jetzt erzählt er davon, pointiert, auch voller Witz und mit großer Offenheit. Wie er Dinge tat, die andere unterlassen. Wie gewunden, schmerzhaft und überraschend Lebenswege sein können, auch der Weg zur großen Liebe. Wie er als Schriftsteller gegen eine Mauer rannte, bevor der Erfolg kam. Und von der wachsenden Sorge um die Eltern. Ein Buch voller Lebens- und Straßenerfahrung, voller Menschenkenntnis, Liebe und Trauer.


Susanne Kristek: Die nächste Depperte
Gmeiner Verlag, 2023

Manch jemand wird glauben, dass es sich hier um eine Satire handelt, aber ich kann versichern, dem ist nicht so! Susanne Kristek erzählt vom Wunsch Bestseller-Autorin zu werden und vor allem davon, dass man scheinbar glaubt „es“ geschafft zu haben, wenn man erst sein Buch in Händen hält. Dass die Arbeit dann erst beginnt und es noch ein weiter Weg bis zum neuen Star am Autor:innen Himmel ist, vermag Susanne Kristek ungeschönt, ungesüßt und ohne Illusionen zu beschreiben. Witzig, kurzweilig und ehrlich bleibt als Resümee: Hinfallen – Aufstehen – Krone richten – Weitergehen! Und niemals die Hoffnung aufgeben, denn immer wieder gehen sie doch auf – die neuen Sterne am Autor:innen Himmel!

»Vermutlich ist es leichter, unbefleckt schwanger zu werden, als einen Bestseller zu schreiben.« Das beschwerliche Leben einer Frau, die es sich in den Kopf gesetzt hat, Bestseller-Autorin zu werden und in ihrem Eifer vor keiner durchgeknallten Idee zurückschreckt. Sie bedrängt den Pfarrer für eine Besprechung im örtlichen Pfarrblatt, hält Lesungen vor Toten und lässt sich von Hera Lind in Hausschuhen coachen. Ein schwarzhumoriger, rasanter Roman über die Höhen und Tiefen des Autorenlebens - satirisch und saukomisch!


Jad Turjman: Wenn der Jasmin auswandert
Residenz Verlag

Ein fesselndes Buch, das man kaum zur Seite legen kann. Stimmig, authentisch, auch humorvoll. Man kann sie gut aushalten, die schrecklichen Dinge, die ihm auf seinem Weg widerfahren, da ist kein Selbstmitleid dabei. Er schildert sehr eindrucksvoll, wieviel Hilfe er von Menschen bekommen hat und wie oft der Zufall über Leben oder Tod entscheidet. Das Schlepperwesen ist absolut glaubhaft dargestellt und das Versagen und die fehlende Empathie der Behörden in allen Ländern macht fassungslos. Ein wertvoller Beitrag zur Debatte um die Einwanderung, sehr zu empfehlen! Tragisch sein Unfalltod und schade um alles, was er uns noch hätte erzählen können.

Es gibt eine Sehnsucht. Eine Sehnsucht nach einem Gefühl, nach der Heimatstadt Damaskus, nach dem Geruch von Jasmin. Jad Turjman ist ein junger Syrer, der sein Leben, bevor der Krieg ausbrach, in vollen Zügen genoss. Als der Einberufungsbefehl kommt, steht die Entscheidung schnell fest: die Flucht nach Europa ist die einzige Möglichkeit, um dem sicheren Tod zu entrinnen. Dieser Weg ist abenteuerlich und mühsam, jedoch begegnen ihm fünf "Schutzengel". Schließlich kommt Turjman an einem Ort an, den er nicht gesucht hat, an dem er jedoch den Jasmin neu pflanzen kann. Jad Turjman hat seine Fluchtgeschichte in einer beispiellosen Intensität beschrieben, mit Humor setzt er uns einem Wechselbad der Gefühle aus.

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Martina Parker: Aufblattelt
Gmeiner Verlag, 2023

Kaum „Aufblattelt“ schon „Ausglesn“! – leider. Auf über 400 Seiten wird gemordet (und zwar nicht zu wenig), gegartelt, gelacht, getanzt, gefeiert, ge…. Intrigen, Affären, ein Hauch von Adel und wieder ganz viel Südburgenland. Man möchte einfach sofort hinfahren – dorthin, wo die Handwerker beim Hausumbau fragen „Sollen wir auf den Mann warten?“, wenn NUR die Frau zugegen ist, dorthin, wo es „Adebar Knoblauch-Chips“ gibt und dorthin, wo man die Vorarlberger einfach nicht versteht, obwohl das „Hianzerische“ auch nicht so ohne ist. Witzig, kurzweilig, spannend, unterhaltsam und eine Hommage ans Südburgenland – das Land der Sonne!

Holla die Waldfee: Im Land der Burgen sind die Adeligen nicht weit. Aber trotz Titel und Latifundien, leicht haben sie haben es nicht die Hohenfelsen. Der alte Graf trägt ein Geheimnis mit sich, das ihm nicht mal Oma Hilda beim Pensionistentreffen entlocken kann. Der junge ist ein Umweltrevoluzzler, der mit seiner Brautwahl schockiert: Isabella Kirnbauer, Waldpädagogin und Mitglied im Klub der Grünen Daumen. Über deren Familie erzählt man sich nichts Gutes. Und als Isabellas Großmutter die Grafen bei der Hochzeit verflucht, nimmt das Böse seinen Lauf. Gewilderte Tiere im Wald, eine Brautjungfer, die blutspuckend zusammenbricht... Die Gartenladies beginnen nachzuwassern. Und bald schon steht neben Rosenbetrachtung, Johanniskrautpflücken und Löwenzahnverarbeiten auch die Jagd nach eine(r) Mörder:in auf dem Programm.

„Hast schon gehört?“ „Was meinst?“
„Na die Sache mit dem jungen Grafen.“
„Was ist mit dem? Jetzt sag schon.“
„Er heiratet ein Mädchen von hier. Isabella Kirnbauer.“
„Oh ... das ist ja ...“
Jeder im Bezirk wusste, wer der Isabella ihr Vater war. Der alte Säufer. Und ihre Großmutter - über die sprach man besser gar nicht. Das ist ja wie in der „Neuen Post“. Nur besser, weil man im Südburgenland ist und die Leute persönlich kennt. Und dass dann die Gegenbraut auf der Hochzeit Blut spuckend zusammenbricht, ist erst der Anfang der Katastrophe ...


Claudia Schumacher: Liebe ist gewaltig
DTV, 2022

Dieses Buch ist tatsächlich gewaltig. Sprachgewaltig, emotionsgewaltig, gewalttätig, fesselnd und bedrückend.

Juli wächst in einer Vorzeigefamilie auf: Die Eltern sind Rechtsanwälte, sie ist Klassenbeste. Doch in der Kleinstadtvilla herrscht das Grauen. Der Vater drillt die Kinder auf Leistung, prügelt sie und seine Frau. Juli wird älter, fordert ein Ende der Gewalt, deren Realität von der Mutter vehement abgestritten wird. Einzig ihre Geschwister und eine Maus geben Halt. Doch wie kann man sich befreien, wenn man weder den Eltern noch den eigenen Erinnerungen traut? Die Befreiung gerät zum Feldzug - gegen die Eltern und das eigene Ich. Drei Jahrzehnte folgen wir Juli, die mit aller Macht versucht, die Deutungshoheit über ihr Leben zu erlangen. Ein eindringlicher Roman über Verletzungen und eine mögliche Heilung, voller Originalität und Wärme.

Kaum zu glauben, dass man Gut und Böse, Wahrheit und Fiktion, Einbildung und Realität, Liebe und Hass, Abhängigkeit und Freiheit so ambivalent leben kann. Ein Leben zwischen Himmel und Hölle, zwischen dem Wunsch nach Liebe und Nähe und dem Wunsch nach Ausbruch. Juli ist reflektiert und dennoch voller Selbstzweifel, sie kennt den Ausweg, hat aber nicht die Stärke den Weg zu gehen. Sie verliert sich in einer Liebesbeziehung, ist erneut mit dem Scheitern konfrontiert und scheint sich schon fast wieder in ein Abhängigkeitsverhältnis zu begeben, bis sie schließlich doch noch erkennt, dass niemand das Recht hat sie zu verletzen. Ein erster Schritt ist gesetzt, aber der Weg noch ein weiter.


Beate Rygiert: Frau von Goethe
Aufbau Taschenbuch Verlag, 2021

Nicht mehr ganz neu, aber Goethe ist ja auch zeitlos 😉 Erzählt wird die Geschichte einer unkonventionellen und mutigen Frau und es ist eine der schönsten Liebesgeschichten der Weltliteratur. Hochemotional, fesselnd und kenntnisreich, sodass man eintauchen möchte ins Leben von Johann Wolfgang von Goethe und seiner bezaubernden Frau Christiane.

Weimar, 1788: Christiane Vulpius ist Putzmacherin in einer Kunstblumen-Manufaktur, als sie mit der Bittschrift ihres Bruders beim Geheimen Rat Goethe, dem begehrtesten Junggesellen Weimars, vorstellig wird. Gesellschaftlich trennen sie Welten, und doch ist es für beide Liebe auf den ersten Blick. Zunächst können sie ihr leidenschaftliches Verhältnis geheim halten. Als Christiane jedoch schwanger wird, schlagen ihr vonseiten der „guten Gesellschaft“ Hass und Verachtung entgegen. Aber Goethe steht zu ihr, dem Kind, zu ihrer Liebe, führt den Begriff der „wilden Ehe“ ein und führt mit ihr eine Beziehung auf Augenhöhe und in gegenseitiger Wertschätzung. Ein Leben in Leidenschaft, als emotionale Achterbahn, zwischen Gelehrten, Dichtern und dem Theater: Für Goethe stehen aber immer das Gemeinwohl und die Familie an erster Stelle. Absolut lesenswert!


Eva Rossmann: Tod einer Hundertjährigen
Folio Verlag, 2022

Mira und Vesna ermitteln wieder! Obwohl es inzwischen 21 Mira-Valensky-Krimis gibt, schafft es Eva Rossmann, dass ich mich jedes Mal aufs Neue freue. Im Unterschied zu anderen Krimi-Reihen wiederholt sich bei Eva Rossmann das Setting nicht und auch die Rahmengeschichte ist jedes Mal eine gänzlich andere. Meist aktuell, sehr gut recherchiert und immer mit einer Botschaft – die man verstehen kann oder eben nicht 😉

„A kent’ànnos! Mögest du hundert Jahre alt werden“, wünscht man sich in Sardinien. Es wirkt: In der Ogliastra, dem rauen Hochland, leben die Menschen besonders lange. Das Geheimnis der Hundertjährigen zieht nicht nur Wissenschaftler an. Mit der Sehnsucht, gesund und glücklich alt zu werden, lassen sich auch gute Geschäfte machen. Präparate, die Zellgesundheit und Immunsystem stärken sollen, boomen.
Doch dann stirbt Tzia Grazia mit hundertzwei Jahren und ihre beste Freundin behauptet, das sei kein natürlicher Tod gewesen. Die Wiener Journalistin Mira Valensky und ihre Freundin Vesna Krainer ermitteln: Hat der Hirte nur fantasiert? War es Blutrache? Oder gibt es ein viel profaneres Motiv?
Nach einem weiteren Todesfall überschlagen sich die Ereignisse.


Cathy Bonidan: Das Glück auf der letzten Seite
Zsolnay, 2022

Ich liebe Brief-Romane. Spätestens seit Daniel Glattauers „Gut gegen Nordwind“ erlebt das Genre ohnehin eine Renaissance 😉 Diesmal ist es aber ganz anders, denn einerseits wird nicht über E-Mails kommuniziert, sondern in Briefen und das intensiviert dieses „Warten auf die Antwort“-Gefühl noch mehr und erhöht die Spannung und es die Kontaktaufnahme ist kein Irrtum, sondern höchste Absicht. Denn im Urlaub findet Anne Lise ein Manuskript, das schon über 30 Jahre alt ist. Fasziniert vom Text, versucht sie den Autor ausfindig zu machen – der Beginn einer spannenden Geschichte. Es wird nicht nur die Frage, wie das Buch in das Hotel gekommen ist, geklärt, sondern viel mehr auch wie es zu diesem Text gekommen ist, wer hinter dem Autor steht und welche Lebensgeschichten sich wie entwickelt haben. Schon bald stellt sich heraus, dass der geheimnisvolle Text das Leben von all denen, die ihn gelesen haben, in eine neue Richtung lenkt.
Eine Hommage an das Briefeschreiben, an das Lesen, an das Buch und an die Liebe!


Martina Leibovici-Mühlberger: Wie wir unsere Kinder retten und die Welt dazu
Gräfe und Unzer, 2022

Anfangs klingt alles ganz dramatisch und es scheint, als ob die Zukunft ein düsteres Szenario für Kinder und Jugendliche bereit hält. Martina Leibovici-Mühlberger, die ich auch schon persönlich kennenlernen durfte, erzählt vom 5-jährigen Konstantin, der während der Corona-Pandemie einen Waschzwang entwickelt hat oder vom 16-jährigen Peter, der durch Covid sein Basketball-Team gegen Videospiele eingetauscht hat. Sie beschreibt Ess-Störungen und Suizidgedanken bei Kindern, weist auf lange Wartelisten bei Kinderpsychologen und auf überfüllte Kinder-Psychiatrien hin. Allerdings eine Momentaufnahme und Corona hat viele Missstände einfach nur sichtbar gemacht. Die gute Nachricht: Es ist nie zu spät und Martina Leibovici-Mühlberger bricht eine Lanze für Kinder und Jugendliche, denn sie haben keine Lobby. Sie malt eine Zukunftsvision, die hoffen lässt, denn gerade die Erfahrungen der Pandemie können zum Dreh- und Angelpunkt dafür werden, dass nun eine besonders starke und selbstbewusste nächste Generation heranreift, die mit ruhigem Geschick und Umsicht später das Ruder übernehmen wird. Unsere Aufgaben als Erwachsene: Wir müssen sie nur richtig begleiten. Das sollte doch zu schaffen sein!
Wenn alles klappt, darf ich Martina Leibovici-Mühlberger im Oktober zu einem Vortrag in Vorarlberg begrüßen!


Bonnie Garmus: Eine Frage der Chemie
Piper Verlag, 2022

Ich kann es kaum fassen, dass diese Geschichte vor 60 Jahren spielt. Gleichzeitig ist es unglaublich, wie sich die Rolle und die Möglichkeiten der Frauen seit damals verändert haben. Zumindest in der westlichen Welt. Die wissenschaftliche Karriere war den Frauen verwehrt, sie brauchten oftmals einen finanziellen Vormund, ihre Aufgabe war auf Haus und Kinder reduziert.

Die Protagonistin Elizabeth Zott möchte dieses Gefängnis aufbrechen, sie möchte unabhängig sein. Aber bereits ihre Kindheit ist schwierig. Ihre wissenschaftliche Karriere wird torpediert, ihre Forschungsergebnisse geklaut und sie wird unterdurchschnittlich bezahlt. Als sie die Liebe ihres Lebens kennenlernt, befürchtet sie in eine Abhängigkeit zu geraten. Nach Calvin Evans Tod bleibt sie ohne Absicherung und mit einem unehelichen Kind zurück. Doch statt den Kopf in den Sand zu stecken, erwacht die Löwin in ihr. Sie baut ihre Küche in ein Labor um, verkauft ihr Wissen an unfähige Labormitarbeiter und wird Fernsehköchin. Am Höhepunkt ihrer Karriere wirft sie den Deckel drauf und widmet sich wieder der Wissenschaft. Die Lebensgeschichte ihres Geliebten und der Forschungstrieb ihrer Tochter Mad stehen nicht nur zwischen den Zeilen und erst zum Schluss ergeben die einzelnen Handlungsstränge ein großes Ganzes und werden zum Grande Finale.

Elizabeth Zott ist eine Frau mit dem unverkennbaren Auftreten eines Menschen, der nicht durchschnittlich ist und es nie sein wird. Doch es ist 1961, und die Frauen tragen Hemdblusenkleider und treten Gartenvereinen bei. Niemand traut ihnen zu, Chemikerin zu werden. Außer Calvin Evans, dem einsamen, brillanten Nobelpreiskandidaten, der sich ausgerechnet in Elizabeths Verstand verliebt. Aber auch 1961 geht das Leben eigene Wege. Und so findet sich eine alleinerziehende Elizabeth Zott bald in der TV-Show »Essen um sechs« wieder. Doch für sie ist Kochen Chemie. Und Chemie bedeutet Veränderung der Zustände ...


Mareike Fallwickl: Die Wut, die bleibt
Rowohlt Verlag, 2022

Keine leichte Kost. Ein Buch, das mich persönlich sehr betroffen macht. Einerseits weil ich mich so unglaublich gut in Helene hineinversetzen kann und andererseits weil es mich sehr berührt hat, wie verlassen sich die Kinder fühlen. Eine abermalige Bestätigung, dass die Letzt- und Endverantwortung eben meist bei den Mamas liegt – nicht nur administrativ, sondern vor allem emotional.
Eine Geschichte, die den Alltag einer 5-köpfigen Familie erzählt, mit all ihren Bedürfnissen und Anforderungen, gespickt mit vielen Klischees und Vorurteilen. Ein Pubertier, das seine Grenzen sucht und überschreitet, Kleinkinder, die körperliche Nähe und Verlässlichkeit suchen, eine (noch) kinderlose beste Freundin, die versucht zu verstehen und zu helfen und dabei ihre eigenen Träume erwachen lässt. Ein Mann, der den vermeintlich einfachsten Weg geht und für seine Trauer keinen Ausdruck findet. Und alles in einer Zeit der Krise, die manches noch deutlicher sichtbar und noch brisanter gemacht hat. Was alle verbindet: die Wut. Die Wut auf andere, die Wut auf sich selbst, die Wut auf die Gesellschaft, die Wut auf das System und am Ende die Erkenntnis, dass es viel Kraft kostet, sich selbst nicht zu verlieren und seinen eigenen Weg zu gehen. Ohne seine Liebsten vor den Kopf zu stoßen oder gar zu verlieren, ohne ausschließlich auf sich selbst zu schauen, aber auch ohne ständige Kompromisse. Ein starkes Buch, das in meinen Augen Pflichtlektüre sein sollte: für Mamas, für Papas, für Omas, für Opas, für Menschen ohne eigene Kinder und auch für welche mit Kinderwunsch. Und vor allem für Pubertiere…

Helene, Mutter von drei Kindern, steht beim Abendessen auf, geht zum Balkon und stürzt sich ohne ein Wort in den Tod. Die Familie ist im Schockzustand. Plötzlich fehlt ihnen alles, was sie bisher zusammengehalten hat: Liebe, Fürsorge, Sicherheit.
Helenes beste Freundin Sarah, die Helene ihrer Familie wegen zugleich beneidet und bemitleidet hat, wird in den Strudel der Trauer und des Chaos gezogen. Lola, die älteste Tochter von Helene, sucht nach einer Möglichkeit, mit ihren Emotionen fertigzuwerden, und konzentriert sich auf das Gefühl, das am stärksten ist: Wut.
Drei Frauen: Die eine entzieht sich dem, was das Leben einer Mutter zumutet. Die anderen beiden, die Tochter und die beste Freundin, müssen Wege finden, diese Lücke zu schließen. Ihre Schicksale verweben sich in diesem bewegenden und kämpferischen Roman darüber, was es heißt, in unserer Gesellschaft Frau zu sein.


Judith W. Taschler: Über Carl reden wir morgen
Zsolnay Verlag, 2022

Finden Sie Ihr Glück und behalten sie es. Ein Satz, scheinbar so einfach und dennoch kämpfen die Familienmitglieder in Judith Taschlers neuem Roman „Über Carl reden wir morgen“ immer wieder darum ihr Glück zu finden, es zu behalten und vor allem es auch zu teilen. Die Familiengeschichte, die sich über fast 100 Jahre – bis kurz nach Ende des ersten Weltkriegs – zieht, ist komplex aufgebaut, die häufigen Zeitwechsel bewirken, dass man leicht den Überblick verliert. Ein beigefügtes Lesezeichen mit aufgezeichnetem Stammbaum erleichtert zwar dem Handlungsstrang folgen zu könne, dürfte aber durchaus ausführlicher sein.

Starke Frauenfiguren, klassische Familienkonstrukte, Männer mit Weitblick, schicksalsträchtige Liebespaare – alle Protagonisten haben mich in ihren Bann gezogen und ließen mich eintauchen in das Leben des 19. Jahrhunderts, in die Zeit des ersten Weltkrieges, die politischen Wirren und die Sehnsucht nach dem großen Glück und nach der großen weiten Welt. Die Familiengeschichte ist bis ins kleinste Detail durchdacht, alle Schicksale scheinen miteinander verwoben und so stört es auch nicht, dass einzelne Inhalte doppelt erzählt werden, denn jeder Charakter hat seine eigene Perspektive, seinen eigenen Handlungsstrang. Die Entscheidungen mancher Figuren hängen direkt mit dem Tun anderer Protagonisten zusammen, bestimmen über Leben und Tod, über Glück und Unglück. Schade, dass der Roman 1922 endet, ich hätte gerne gewusst was aus der Hofmühle und ihrer Besitzer geworden ist.

Fast hat man sich in der Hofmühle damit abgefunden, dass Carl im Krieg gefallen ist, als er im Winter 1918 plötzlich vor der Tür steht. Selbst sein Zwillingsbruder Eugen hätte ihn fast nicht erkannt. Eugen ist nur zu Besuch, er hat in Amerika sein Glück gesucht und vielleicht sogar gefunden. Wird er es mit Carl teilen? Lässt sich Glück überhaupt teilen? Judith W. Taschler hat einen großen Familienroman geschrieben. Über drei Generationen verfolgen wir gebannt das Schicksal der Familie Brugger, deren Leben in der Mühle vor allem die Frauen prägen. Das einfühlsame Porträt eines Dorfes, ein Buch über Abschiede und die Liebe unter schwierigen Vorzeichen, über den Krieg und die unstillbare Sehnsucht nach vergangenem Glück.


Matt Haig: Die Mitternachtsbibliothek
Verlag Droemer, 2021

Der Plot faszinierend, die Vorstellung beängstigend, die Idee grandios, das Ende versöhnlich. Matt Haig veranschaulicht wie viele Facetten das Leben hat und wie jede (größere) Entscheidung richtungsweisend ist. Fesselnd erzählt er von den vielen verschiedenen Leben der Nora Seed und gleichzeitig auch davon, dass Glück eine Momentaufnahme ist. Erst wenn man mit sich im Reinen ist, kann das Leben beginnen, denn alles wird wieder einmal besser. Alles wird gut. Eine Hommage ans Leben!

Stell dir vor, auf dem Weg ins Jenseits gäbe es eine riesige Bibliothek, gesäumt mit all den Leben, die du hättest führen können. Buch für Buch gefüllt mit den Wegen, die deiner hätten sein können. Hier findet sich Nora Seed wieder, nachdem sie aus lauter Verzweiflung beschlossen hat, sich das Leben zu nehmen. An diesem Ort, an dem die Uhrzeiger immer auf Mitternacht stehen, eröffnet sich für Nora plötzlich die Möglichkeit herauszufinden, was passiert wäre, wenn sie sich anders entschieden hätte. Jedes Buch in der Mitternachtsbibliothek bringt sie in ein anderes Leben, in eine andere Welt, in der sie sich zurechtfinden muss. Aber kann man in einem anderen Leben glücklich werden, wenn man weiß, dass es nicht das eigene ist? Matt Haig ist ein zauberhafter Roman darüber gelungen, dass uns all die Entscheidungen, die wir bereuen, doch erst zu dem Menschen machen, der wir sind. Eine Hymne auf das Leben - auch auf das, das zwickt, das uns verzweifeln lässt und das doch das einzige ist, das zu uns gehört.


Dolores Schmidinger: Hannerl und ihr zu klein geratener Prinz
Verlag Kremayr & Scheriau, 2021

Diese Johanna hätte ich gerne kennengelernt. Eine starke, selbstbewusste, couragierte und kluge Frau. Eine Frau, die ihren Wert kennt und weiß, was sie kann und was sie will. Und trotzdem ist sie gefangen in ihrer Zeit, die nicht nur vom Nationalsozialismus, sondern vor allem auch von der Männerherrschaft geprägt ist. Johanna resigniert, kämpft, duckt sich, macht sich groß, schweigt, wird zynisch, verliert aber nie die Sprache, nie ihren Kämpfergeist und verrät vor allem nie sich selbst. Sie bleibt sich treu und schenkt der wunderbaren Dolores das Leben.

Wir schreiben das Jahr 1938. Bei der „Gewerkschaft der Arbeiter im Lebens- und Genussmittelgewerbe“ treffen die quirlige Sozialdemokratin Johanna Deweis, die ihre Karriere fest im Blick hat, und der linkische Erzkatholik Josef Schmidinger, der sich als Tenor auf den Bühnen der Welt wähnt, aufeinander. Trotz aller Unterschiede kommt sich das ungleiche Paar näher – aber ob diese Verbindung auf Dauer gutgehen kann?

Schauspielerin und Kabarettistin Dolores Schmidinger taucht mit dem ihr eigenen fatalistischen Humor in die (Un-)Tiefen ihrer Familiengeschichte ein und entwirft ein Panoptikum an eigenwilligen Charakteren: Freigeister und Revoluzzer, Genussmenschen und Selbstverleugnerinnen, glühende Nationalsozialisten und bigotte Mitläufer. Entlang der Lebenslinien ihrer Eltern und Großeltern liefert Schmidinger eine mit spitzer Feder geschriebene Parabel darauf, wie Lebensträume am Alltag zerschellen, Frauen sich (noch immer) für Männer klein machen – und nicht zuletzt darüber, wie Mitläufertum in Zeiten einer Diktatur zum Normalfall wird.


Laetitia Colombani: Das Mädchen mit dem Drachen
S. Fischer Verlag, 2022

Mitten ins Herz! Die Geschichte von Léna, Lalita, Preeti und dem Schicksal vieler indischer Mädchen (und Buben) hat mich tief berührt. Wer schon „Der Zopf“ gelesen hat, begegnet der Tochter des Rattenfängers wieder, die durch Léna plötzlich eine echte Chance zu bekommen scheint, aber die Gesetze und Traditionen in Indien sind anders, brutaler – es geht ums nackte Überleben. Laetitia Colombani (bzw. ihre Übersetzerin Claudia Marquardt) kann schreiben, erzählt fesselnd, beschönigt wenig und führt ihre Leser direkt in die tiefsten Slums Indiens. Man vermeint das Meer zu hören, den Chai zu riechen und die Hitze zu spüren.
Ob die Geschichte von der „Retterin“ aus dem Westen, der guten weißen Frau, die den Kindern den Zugang zur Bildung ermöglicht, die Geschichte vom Idealismus einer kinderlosen Lehrerin, die in Indien zur „Mutter“ wird und die Geschichte vom unermüdlichen Glauben an das gute Ende auch in der Realität funktioniert, darf offen bleiben. Träumen ist erlaubt und nicht nur in der Welt der Bücher ist alles möglich!

„Das Mädchen mit dem Drachen“ - nach „Der Zopf“ und „Das Haus der Frauen“ der neue Roman der Bestsellerautorin Laetitia Colombani. Eine Schule am Indischen Ozean - ein hoffnungsvoller Ort, der alles verändert. Am Golf von Bengalen will Léna ihr Leben in Frankreich vergessen. Jeden Morgen beobachtet sie das indische Mädchen Lalita, das seinen Drachen fliegen lässt. Als Léna von einer Ozeanwelle fortgerissen wird, holt Lalita Hilfe bei Preeti, der furchtlosen Anführerin einer Selbstverteidigungsgruppe für junge Frauen. Léna überlebt und zusammen mit Preeti schmiedet sie einen Plan, der nicht nur Lalitas Leben grundlegend verändern wird. Wie schon in ihren Bestsellern „Der Zopf“ und „Das Haus der Frauen“ erzählt Laetitia Colombani bewegend und mitreißend von mutigen Frauen, denen das scheinbar Unmögliche gelingt. Das indische Mädchen Lalita, bekannt aus „Der Zopf“, bekommt im Roman „Das Mädchen mit dem Drachen“ ihre eigene Geschichte.


Martina Parker: Hamdraht
Gmeiner Verlag, 2022

Ich muss gestehen: Ich bin ein Südburgenland-Fan, aber nicht nur deshalb bekommt auch „Hamdraht“ – nach „Zuagroast“ – 10 von 10 Punkten! Martina Parker kann schreiben, sie nimmt die Südburgenländer liebevoll aufs Korn, macht subtil Werbung für die Region (nicht zu viel, damit keine Tourismushochburg aus der Weinidylle wird), versteht es die Personen ihre eigene Persönlichkeit entwickeln zu lassen, versprüht Sarkasmus und Humor und sie unterhält. Auf lustige, spannende und niveauvolle Art – ein Buch, das man – einmal angefangen – nicht mehr weglegen kann!

Sanfter Tourismus im Südburgenland? Von wegen. Der „zuagroaste“ Arno will den „Hiesigen“ zeigen, wie Wellness geht, setzt sich dabei aber ordentlich in die Nesseln. Die kräuterkundige Köchin Mathilde kocht lieber ihren Chef ein als die Gäste. Die beißen ohnehin bald ins Gras. Lokaljournalistin Vera recherchiert und gräbt dabei zu tief. Und auch die Mitglieder des Gartenklubs haben ihre grünen Daumen im Spiel.


Wolf Haas: Müll
Hoffmann & Campe Verlag, 2022

Es ist schon wieder was passiert! Diesmal wird statt in den Abgründen der MA 2412 in jenen der MA 48 gewühlt. Simon Brenner ist zurück: Als Mietnomade, der seine Brötchen mit Müll trennen verdient. Und ob du es glaubst oder nicht: Er ist mittendrin, wenn eine zerstückelte Leiche wieder zusammengesetzt wird. Zufall nichts dagegen. Auf Brenners Spürsinn ist weiterhin Verlass, seine Menschenkenntnis umwerfend, sein Humor und sein Wortwitz sowieso. Der Falls scheint eigentlich geklärt, bis die Geschichte erneut Fahrt aufnimmt und schlussendlich fast in einem Fiasko endet. Grande Finale Hilfsausdruck sozusagen.
Alle Brenner-Fans können sich schon auf die Verfilmung freuen, im Kopfkino hat Josef Hader jedenfalls schon im Dings, im Müllauto, Platz genommen!

Auf einem der Wiener Mistplätze (dt.: Altstoffsammelzentrum) herrscht strenge Ordnung, bis eines Tages in der Sperrmüllwanne ein menschliches Knie gefunden wird. Schnell tauchen in anderen Wannen weitere Leichenteile auf, die entgegen der Mistplatzordnung und zum großen Leidwesen der Müllmänner allesamt nicht korrekt eingeworfen wurden. Nur vom Herz des zerlegten Toten fehlt jede Spur. Die Kripo weiß nicht weiter. Zum Glück ist unter den Müllmännern ein Ex-Kollege, der nicht nur das fehlende Herz samt Begleitschreiben findet, sondern auch nie vergessen hat, was man bei Mord bedenken muss. Und damit steckt Simon Brenner nicht nur in einem neuen Fall, sondern auch bis zum Hals in Schwierigkeiten.


Claudia Rossbacher: Steirerwahn
Gmeiner Verlag, 2022

Sandra Mohrs zwölfter Fall – die Fortsetzung der Serie habe ich eigentlich nur gelesen, weil ich Claudia Rossbacher persönlich kennenlernen durfte und ich sie sehr sympathisch finde. Wie so oft verliert eine (Krimi-)Reihe nach einigen Folgen ihren Reiz, die Ausdrucksweise wiederholt sich ebenso wie der Aufbau. Die Charaktere sind „ausgelutscht“ und die ständigen Repliken auf vorangegangene Fälle langweilen. Aber kaum angefangen, fesselt die Geschichte doch wieder, man möchte nicht nur wissen wer gemordet hat, man hängt auch mitten drin in den Liebeswirrungen der beiden Kommissare. Und der Schluss? Obwohl der Mord natürlich aufgeklärt ist, endet er ziemlich unbefriedigend mit „Ihr Nachbar nahm ihre Hand und küsste sie“ bzw. mit „Schlaf dich gesund, Liebling“. Jetzt warte ich eben doch auf den 13. Band, um wenigstens zu wissen wie die Liebesgeschichte weiter geht!

An der Steirischen Apfelstraße wird ein Mann mit einer Holzkugel in der Mundhöhle aufgefunden, erdrosselt mit dem Strick seiner Kutte. Die LKA-Ermittler Sandra Mohr und Sascha Bergmann erfahren, dass der Tote den Apfelmännern angehörte, die sich an diesem Morgen in Brennklausur begaben, um in einem geheimen Ritual den angeblich weltbesten Apfelschnaps herzustellen. Warum aber wurde der Obstbauer ermordet? Und wer steckt dahinter? Bald schon soll der nächste Apfelmann sterben. Ein Serienkiller treibt sein Unwesen.


Oskar Seyfert: Vom Privileg einen kranken Vater zu haben
Westend Verlag, 2022

Einfach, aber direkt. Die Worte eines 15-Jährigen: offen, ungeschönt und ehrlich. Oskar beschreibt vom Stolz ein Buch zu schreiben, dabei mag er darauf eigentlich gar nicht stolz sein, weil er die Chance dazu nur bekommt, weil sein Vater „behindert“ ist. Erkrankt an Alzheimer, mit erst 54 Jahren. Oskar erzählt von einem liebevollen Vater, wie er die Krankheit seines Vaters erlebt, von Höhen und Tiefen und vom Abschiednehmen. Optimistisch, aber traurig. Eine authentische Geschichte und eine Empfehlung für alle, die einen geliebten Menschen an Alzheimer „verlieren“.

Oskar ist elf, als sein Vater an Alzheimer erkrankt. Jetzt, mit fünfzehn Jahren, erzählt er in einem berührender Text über den kranken Vater und wie dieser seine angestammte Rolle immer weniger ausfüllen kann. Wie gehen Oskar, seine Geschwister und seine Mutter mit dieser schwierigen Situation um?
Oskars Buch ist ein Bericht über die Liebe eines Sohnes zu seinem Vater und darüber, wie ein Schicksalsschlag den familiären Zusammenhalt erschüttert — aber nicht zu zerstören vermag.


Monika Helfer: Löwenherz
Hanser Verlag, 2022

Ich habe sehnsüchtig auf den dritten Teil dieser so persönlichen Familiengeschichte gewartet. Während der erste Band noch den Titel „Die Bagage“ trägt, ist „Löwenherz“ nun „unserer Bagage“ gewidmet. Als Vorarlbergerin könnte man den Begriff durchaus abwertend auffassen, Monika Helfer belegt ihn aber mit einem wertschätzenden und liebevollen Attribut. Im Mittelpunkt steht Monika Helfers Bruder, die Geschichte ist aber mehr als eine Reise in die Vergangenheit. Sie streckt sich bis in die Gegenwart, enthält sehr viel Persönliches und lässt tief blicken.

Monika Helfer erinnert sich an ihren Bruder Richard. Seit dem Tod der Mutter wachsen sie und ihre Schwestern getrennt vom kleinen Bruder auf. Sie sehen sich selten, verlieren die Verbindung. Es ist die Zeit des Deutschen Herbstes. Richard ist da bereits ein junger Mann, von Beruf Schriftsetzer. Er ist ein Sonderling, das Leben scheint ihm wenig wichtig. Verantwortung übernimmt er nur, wenn sie ihm angetragen wird. So auch, als ihm auf merkwürdige Weise eine verflossene Liebe ein Kind überlässt, von dem er nur den Spitznamen kennt. Die unfreiwillige Vaterrolle gibt ihm neuen Halt, zumindest für eine Zeit. Ein inniges Portrait, eine Geschichte über Fürsorge, Schuldgefühle und Familienbande.


Elif Shafak: Das Flüstern der Feigenbäume
Kein & Aber Verlag, 2021

Ich mag Geschichten, die aus verschiedenen Perspektiven erzählt werden und die Vergangenheit und Gegenwart verweben. Liebe, Bürgerkrieg, Flucht und Spannung. Eine an manchen Stellen kitschige Geschichte mit tiefsinnigem Plot, Dramatik und gelungener Formulierung.

Die jungen Liebenden Defne und Kostas dürfen sich nur heimlich treffen – sie ist Türkin, er Grieche, es herrscht Bürgerkrieg auf Zypern. Als sie durch die Unruhen getrennt werden, ahnen sie nicht, dass sie Jahre später wieder vereint werden. In einem neuen Leben, auf einer neuen Insel. Die Booker-Prize-nominierte Autorin Elif Shafak verwebt die Vergangenheit mit der Gegenwart und erzählt in diesem tiefschürfenden und zarten Roman über Zugehörigkeit und Identität, Schmerz und Hoffnung.


Bernhard Schlink: Die Enkelin
Diogenes Verlag, 2021

Eine Ost-West-Geschichte, eine Liebesgeschichte, eine Familiengeschichte, ein Abdriften in eine völlig andere Welt. Ich bin eingetaucht in die sehr berührende Geschichte eines Buchhändlers, der sich seiner Enkelin nicht nur physisch behutsam nähert, sondern auch sprachlich vorsichtig versucht ihr Vertrauen zu gewinnen. Bernhard Schlink hat mich mitgenommen in die DDR, hat mich die Verzweiflung der Mutter spüren lassen, die ihr Kind weggibt um für einen anderen Mann frei zu sein, aber er hat mir auch die Liebesgeschichte zweier Menschen erzählt, die sich nie ganz aufeinander eingelassen haben. Und dann habe ich mich plötzlich bei den Völkischen wiedergefunden, habe die Enkelin kennengelernt und habe dann das Buch nicht mehr weggelegt. Wie es endet? Das bleibt offen, aber in gutem Sinne!

Birgit ist zu Kaspar in den Westen geflohen, für die Liebe und die Freiheit. Erst nach ihrem Tod entdeckt er, welchen Preis sie dafür bezahlt hat. Er spürt ihrem Geheimnis nach, begegnet im Osten den Menschen, die für sie zählten, erlebt ihre Bedrückung und ihren Eigensinn. Seine Suche führt ihn zu einer völkischen Gemeinschaft auf dem Land – und zu einem jungen Mädchen, das in ihm den Großvater und in dem er die Enkelin sieht. Ihre Welten könnten nicht fremder sein. Er ringt um sie.

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Sophie Hardcastle: Unter Deck
Kein & Aber, 2021

Was wie eine unterhaltsame Geschichte klingt, beginnt gar nicht beschaulich und lässt ahnen, dass es sich hier um keine leichte Lektüre handelt. Zwar zählt diese Einstiegsbekanntschaft absolut zu den Guten, aber was kommt schlägt Wellen. Nicht nur auf See, auch im Leben der Protagonistin.
Was „Unter Deck“ passiert ist hart, herzlos und erniedrigend, abseits davon ist der Plot aufwühlend, spannend, intensiv, faszinierend und tiefgründig. Man will manchmal, dass es vorbei ist und hofft dennoch, dass noch lange kein Anker gesetzt wird.

Eben fühlte sich Olivia noch aufgehoben in der überwältigenden Magie des Meeres, als die Segelschifffahrt mit fünf gleichaltrigen Männern unvermittelt zum traumatischen Erlebnis wird. Ein wilder, aufwühlender, sprachgewaltiger Roman, der alle Sinne anspricht.



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